Sprachsensibler Fachunterricht
Sekundarstufe I und II
Impulse und Grundlagen für den sprachsensiblen Fachunterricht
Sprachsensibler oder sprachbildender Fachunterricht verknüpft fachliches und sprachliches Lernen so, dass das fachliche Lernen gefördert wird. In der Unterrichtsplanung werden dabei neben fachlichen Zielen auch explizit sprachliche Ziele verfolgt, und zwar mit Blick auf die sprachlichen Mittel, die gebraucht werden, um die jeweiligen fachlichen Ziele zu erreichen.
Die sprachlichen Mittel, die im Fachunterricht benötigt werden, sind mehr als nur der reine „Fachwortschatz“. Was Schülerinnen und Schüler darüber hinaus in jedem Fach brauchen, sind z.B.
- Formulierungen, die fachliche Denkweisen und Zusammenhänge zum Ausdruck bringen (z.B. „gleichmäßig verteilen“; immer wenn …, dann; in Abhängigkeit von)
- Wörter und Formulierungen, mit denen fachliche Konzepte erläutert werden können (solche sprachlichen Mittel unterstützen dann auch den Aufbau von entsprechenden inhaltlichen Vorstellungen
- Wissen über fachspezifische Textsorten (z.B. Diagrammbeschreibung, Versuchsprotokoll, Sachurteil) und die Fähigkeit, dieses Wissen in eigenen Textproduktionen anzuwenden
Viele Schülerinnen und Schüler verfügen nicht über diese sprachlichen Mittel, wodurch das fachliche Lernen erschwert wird. Das trifft nicht nur auf Lernende zu, die Deutsch als Zweitsprache erworben haben oder erwerben, sondern ebenso auch auf viele einsprachig deutsch aufwachsende Kinder und Jugendliche. Dass liegt daran, dass sowohl einsprachige als auch mehrsprachige Lernende in der Alltagssprache, die sie im privaten Umfeld erworben haben, zwar oft kompetent sind, für das schulische Lernen aber ein anderes Register, die sogenannte „Bildungssprache“ gebraucht wird, die einen spezifischen Wortschatz und Sprachstrukturen aufweist, die in der Alltagssprache selten gebraucht werden. Als Bildungsinstitution ist es daher Aufgabe der Schule, bildungssprachliche Lernangebote in allen Fächern zu machen.
Denn die für den Fachunterricht nötigen sprachlichen Mittel können in der Regel nicht im Deutschunterricht gelernt werden, da ihre Anwendung (oder ihre spezielle fachliche Bedeutung und Relevanz) fachspezifisch ist und der Deutschunterricht meist nicht die entsprechenden Kontexte bietet. Der Fachunterricht ist der authentische Anwendungskontext für diese fachlich relevanten Sprachmittel. Sie können am nachhaltigsten gelernt werden, wenn sie zusammen mit den fachlichen Inhalten präsentiert und fokussiert werden.
Ausgangspunkt für das sprachliche Lernen im Fach und für das Fach bilden deshalb die sprachlichen Handlungen (z.B. Beschreiben, Erklären, Begründen), die in den Kompetenzerwartungen aller Fachlehrpläne enthaltenen sind. Ausgehend von diesen ermittelt man die spezifischen sprachlichen Mittel, die im jeweiligen Fachkontext für das fachliche Denken und die fachliche Kommunikation zentral sind, und plant dann den Unterricht so, dass es im Rahmen der fachlichen Arbeit auch Lernangebote für eben diese Sprachmittel gibt.
Videovortrag zu Sprache im Fachunterricht
Bei der BiSS-Jahrestagung im Jahr 2022 zum Thema „Sprache im Fach" hielt Frau Prof´in Susanne Prediger eine Keynote mit dem Titel „Sprache aufbauen im Fachunterricht – Warum, was und wie?"
Eine neuere Version des Vortrags ist hier zu finden.
Die Präsentation zum Vortrag kann hier heruntergeladen werden.
Kompetenzentwicklung der Schülerinnen und Schüler
Viele Schülerinnen und Schüler haben Schwierigkeiten, im Unterricht fachliche Inhalte zu verstehen und darüber zu kommunizieren, weil ihnen die spezifische Bildungssprache fehlt. Sie können komplexe Texte nicht sicher entschlüsseln, Fachbegriffe nicht präzise verwenden oder ihre Gedanken strukturiert darlegen. Dies erschwert nicht nur das Lernen in einzelnen Fächern, sondern begrenzt auch ihre Möglichkeit, ihr Wissen selbstbewusst zu nutzen und weiterzuentwickeln.
Ein sprachsensibel gestalteter Fachunterricht unterstützt sie gezielt dabei, fachliche und sprachliche Kompetenzen gleichzeitig aufzubauen. Durch Scaffolding, Wortschatzarbeit, Vernetzung unterschiedlicher Darstellungsformen und sprachaktivierende Lernsettings erwerben die Schülerinnen und Schüler schrittweise die Fähigkeiten, Fachtexte zu verstehen, fachliche Zusammenhänge darzustellen, Argumente sprachlich differenziert zu formulieren und sich aktiv an Diskussionen zu beteiligen. Sie verbessern ihr Verständnis für fachliche Konzepte und lernen, ihre Gedanken klar und präzise auszudrücken – mündlich wie schriftlich.
Dadurch sind sie zunehmend in der Lage, komplexe Aufgabenstellungen zu verstehen, sich Fachtexte eigenständig zu erschließen, ihre Erkenntnisse strukturiert darzulegen und in anspruchsvollen Prüfungsformaten sicher zu agieren. Sie bewältigen den Übergang in höhere Jahrgangsstufen besser und können sich in unterschiedlichen Fächern fachsprachlich angemessen ausdrücken.
So wird sprachsensibler Fachunterricht zu einem Schlüssel für nachhaltigen Lernerfolg und für die aktive Teilhabe an schulischen Lernprozessen.
Sprachsensibler Fachunterricht SI/II (Netzwerk 2.1) - Angebote
Das Netzwerk 2.1 zum sprachsensiblen Fachunterricht an allgemeinbildenden Schulen der Sekundarstufe I und II zielt darauf ab, Fachlehrkräften dafür das nötige Handwerkszeug zu vermitteln, und bietet eine Plattform, um sich mit anderen Lehrkräften über die jeweiligen Ansätze und Erfahrungen auszutauschen. Folgende Inhalte und Arbeitsformate werden dafür angeboten:
- Einführung in fachspezifische sprachliche Anforderungen insbesondere von sogenannten Sachfächern (z.B. Mathematik, Biologie, Geschichte)
- Einführungsworkshop „Sprachsensibler Fachunterricht“
- BiSS-Blended-Learning-Kurs „Sprachsensibler Fachunterricht“ (Inhalt: Sprachhandlungen im Fachunterricht, Wortschatzaufbau, sprachsensible Unterrichtselemente und Aufgabengestaltung, sprachbildende Unterrichtsplanung)
- Fachspezifische E-Learning-Kurse zum sprachsensiblen Fachunterricht (ProDaZ-Online-Tool) mit Online-Austausch
- BiSS-Blended-Learning-Kurs „Sprache im Mathematikunterricht“
- BiSS-Blended-Learning-Kurs „Lesen im Fachunterricht“
- BiSS-Blended-Learning-Kurs „Diagnostik und aufbauende Förderung im Fachunterricht“
- Qualifizierungsreihe „Schreiben im Fachunterricht – der genredidaktische Ansatz“
- Einführung in die BiSS-Tool-Dokumentation (Diagnose- und Fördertools für den sprachsensiblen Unterricht und schulische Sprachbildungskonzepte)
- Netzwerktreffen mit Input und Austausch (1 x pro Halbjahr)
- Individuelle Sprechstunden und Beratung, auch für Sprachbildungs-AGs
- Netzwerkinterner Materialaustausch
Das Netzwerk gibt nicht vor, wie viele Lehrkräfte an unseren Angeboten teilnehmen sollen und wann welche Sprachbildungsansätze im Unterricht umgesetzt oder in der Schule implementiert werden. Hierüber entscheiden allein die jeweiligen Schulen.
Viele Schulen starten in unserem Netzwerk mit einer kleinen Gruppe von Lehrkräften aus unterschiedlichen Fächern, die am einführenden Blended-Learning-Kurs teilnehmen. Sie erproben Inhalte dieses Kurses und ggf. weiterer Qualifizierungsangebote in ihrem eigenen Unterricht. Die Erfahrungen hieraus fließen dann in die Gestaltung von möglichen Schulentwicklungsprozessen ein. Hierfür stehen wir, wenn gewünscht, beratend zur Verfügung. Es ist aber grundsätzlich auch möglich, nur mit einer teilnehmenden Lehrkraft im Netzwerk einzusteigen.
Poster zur Netzwerkarbeit
Literatur:
- Beese, M. & Roll, H. (2015). Textsorten im Fach. Zur Förderung von Literalität im Sachfach in Schule und Lehrerbildung. In: Benholz, C., Frank, M, Gürsoy, E. (Hrsg.). Deutsch als Zweitsprache in allen Fächern. Konzepte für Lehrerbildung und Unterricht, Stuttgart: Klett, S. 51–72.
- Benholz, C., Frank, M, Gürsoy, E. (Hrsg.). Deutsch als Zweitsprache in allen Fächern. Konzepte für Lehrerbildung und Unterricht, Stuttgart: Klett.
- Gantefort, C. (2013). ‚Bildungssprache‘ – Merkmale und Fähigkeiten im sprachtheoretischen Kontext. In: Gogolin, I.; Lange, I.; Michel, U.; Reich, H. H. (Hrsg.), Herausforderung Bildungssprache –und wie man sie meistert, Münster et al.: Waxmann, 71-105.
- Gogolin, I.; Lange, I. (2011). Bildungssprache und Durchgängige Sprachbildung. In: Fürstenau, S.; Gomolla, M. (Hrsg.), Migration und schulischer Wandel, Wiesbaden: Springer, 107-127.
- Frank, M. & Gürsoy, E. (2015). Sprachliches Verstehen im Mathematikunterricht –Studien zum Umgang mit Textaufgaben in der Sekundarstufe I und Perspektiven für die Lehrerbildung. In: Benholz, C.; Frank, M.; Gürsoy, E. (Hrsg.). Deutsch als Zweitsprache in allen Fächern – Konzepte für Lehrerbildung und Unterricht. Beiträge zu Sprachbildung und Mehrsprachigkeit aus dem Modellprojekt ProDaZ. Stuttgart, 135–162.
- Koch, P.; Oesterreicher, W. (1986). Sprache der Nähe – Sprache der Distanz. Mündlichkeit und Schriftlichkeit im Spannungsfeld von Sprachtheorie und Sprachgeschichte. Romanistisches Jahrbuch, 36. Berlin/New York: De Gruyter, 15-43.
- Leisen, J. (2013). Handbuch Sprachförderung im Fach – Sprachsensibler Fachunterricht in der Praxis. 2 Bände. Stuttgart: Ernst Klett Sprachen.
- Pöhler, B.; Prediger, S. (2017). Verstehensförderung erfordert auch Sprachförderung – Hintergründe und Ansätze einer Unterrichtseinheit zum Prozente verstehen, erklären und berechnen. In: A. Fritz, G. Ricken, & S. Schmidt (Hrsg.), Handbuch Rechenschwäche. Weinheim: Beltz.
- Roll. H.; Bernhardt, M.; Enzenbach, C.; Fischer, H. E.; Forkarth, C.; Gürsoy, E.; Krabbe; H.; Lang, M.; Manzel, S.; Ulucam-Wegmann, I. (Hrsg.) (2022). Schreibförderung im Fachunterricht der Sekundarstufe I. Interventionsstudie zu Textsorten in den Fächern Geschichte, Physik, Technik, Politik Deutsch und Türkisch. Münster/New York: Waxmann.
- Tajmel, T. (2012). Wie sprachsensibler Fachunterricht vorbereitet werden kann. In: RAA Mecklenburg-Vorpommern e. V. Praxisbaustein Deutsch als Zweitsprache, Bd. 2: Bildungssprache und sprachsensibler Fachunterricht, 12-33. Online abrufbar unter: https://daz-mv.de/sites/default/files/2018-03/daz_prax2_2012_web.pdf [08.11.2022].